Mittwoch, 25. Dezember 2013

Gott und die Bombe

von Dr. Eran Yardeni



Vorgestern berichtete ich an dieser Stelle über die neue Initiative von Shlomo Ben-Zvi, dem Verleger und Chefredakteur der zweitgrößten israelischen Tageszeitung Ma’ariv, den Nahen Osten zu einer atomwaffenfreien Zone zu machen. Es sieht aus, als stünde Ben Zvi mit dieser Aktion nicht mehr alleine da. In die gleiche Richtung marschiert auch der ehemalige Knesset-Abgeordnete Abraham Burg.

Ein in Maariv veröffentlichter Gedankenaustausch zwischen den beiden bezüglich der sogenannten „Ebenbild Gottes“ Doktrin ist an einigen Stellen mehr als erstaunlich, an anderen hingegen einfach lustig, im Grunde genommen aber eher tragisch.

Sowohl Burg als auch Ben-Zvi sind unverkennbar von religiösen Motiven getrieben. Burg behauptet, eine moralische Weltanschauung zu haben, in deren Rahmen Entscheidungen bezüglich Leben und Tod eine göttliche und keine menschliche Sache seien. So gesehen gefährdet die nukleare Waffe das Machtmonopol Gottes: „Die Atomwaffe beabsichtigt Gott zu werden, ohne die Fähigkeiten zu haben, die der Weltschöpfer besitzt“, meint er, ohne zu erklären, welche Fähigkeiten genau Gott besitzt und ohne darauf zu achten, dass es ironischerweise ausgerechnet Mahmud Ahmadinejad war, der im April 2013, während seines Besuchs in Benin (West Afrika) denselben Gott mit ins Boot holte, als er die nukleare Energie “ein göttliches Geschenk” nannte.

Auf welcher Seite Gott genau steht, auf der israelischen oder auf der iranischen, ist noch nicht geklärt. In Deutschland fand am Ende der 50er Jahre eine ähnliche Diskussion statt und zwar über die Frage, inwiefern, wenn überhaupt, billigt Gott Atombomben? (Der Spiegel; 14.5.1958).

Auch wenn diese Frage kaum zu beantworten ist, eins ist trotzdem ziemlich sicher: Das moralische Spielchen mit Gott als atomares Argument gegen den Besitz von Atomwaffen ist nicht nur amüsant, sondern kann auch rasch ad absurdum geführt werden, wenn man die nukleare Waffe als Gottes Wille, d.h. als eine neue Version der Sintflut betrachtet, die das Ziel hat, die Menschheit samt ihrer Steuerhinterzieher, Pornogucker und Abmahnanwälte zur Rechenschaft für ihre Missetaten zu ziehen.

Denkt man an das 20. Jahrhundert, dürfte dieses Szenario nicht ganz sinnlos erscheinen. Gegen die nukleare Waffe zu agieren, bedeutet dem göttlichen Willen die Stirn zu bieten. Gott im Dienst der Atomgegner ist wie die Knete in den Händen geschickter Kindergartenkinder – man kann daraus alles machen, was man will.

So weit sind wir, Gott sei dank, noch nicht. Denn Burg ist bescheidener: Er beklagt sich nur über das menschliche Einmischen in die göttliche Sphäre und zwar ohne auf das jüngste Gericht hinzuweisen.

Vor dem Hintergrund der biblischen Geschichte von Kain und Abel, musste aber sogar er wissen, dass zwei Hände völlig ausreichen, um zu töten und damit das göttliche Machtmonopol in Frage zu stellen. Solange man die Unterminierung der Autorität Gottes bezüglich der Fragen von Leben und Tod als Argument gegen den Besitz der Atomwaffe anführtt, muss man auch zugeben, dass es zwischen dem Messer von Jack The Ripper, dem Hund von Baskerville und der Atombombe keinen qualitativen Unterschied mehr gibt. Sie alle verfügen über Fähigkeit, sich in die göttliche Sphäre „einzumischen“.

Genauso unklar ist sein anderes Argument: Massenvernichtung sei unmoralisch. Denn schließlich meinen die Befürworter der Atomwaffe in Israel nichts anderes. Keiner in Israel behauptet, dass Massenvernichtung moralisch sei. Wenn es überhaupt einen guten Grund gibt, warum Israel eine atomare Waffe braucht, dann ist es der, Massenvernichtung von Juden zu verhindern.

Burg verwechselt hier, wie oft in solchen Diskussionen, zwei unterschiedliche Aspekte des Themas: Massenvernichtung auf der einen Seite und das Besitzen von Atomwaffen auf der anderen.

Der Besitz von Atomwaffen ist genau so unmoralisch wie der Besitz vom Pfefferspray. Die Frage von Ethik und Moral kann erst dann beantwortete werden, wenn mit der Atomwaffe bzw. mit dem Pfefferspray etwas unternommen wird. Immanuel Kant würde dann den Willen anhand des kategorischen Imperativs überprüfen; die Anhänger des Utilitarismus würden hingegen fragen, inwiefern der Einsatz von Atomwaffen das Allgemeinwohl der Bürger fördert.

Pfefferspray als Waffe zu benutzen, um eine alte Dame zu überfallen, ist unmoralisch, dasselbe Spray aber zu benutzen, um einen Vergewaltiger zu vertreiben, ist zutiefst moralisch. Der Besitz an sich sagt so gut wie gar nichts über die moralischen Aspekte künftiger Handlungen. Die Aussage „Massenvernichtung ist unmoralisch“ ist für die Diskussion über die Frage, ob Israel eine gegenseitige atomare Abrüstung initiieren soll oder nicht, völlig irrelevant.

Entweder alle oder gar keiner

Burg selbst scheint die Problematik seiner Argumente nicht ganz zu übersehen. Denn er gibt selbst zu, dass der Besitz von Atomwaffen Israel in der Vergangenheit geholfen hatte, seine Feinde abzuschrecken.

Heute aber, behauptet er, sei die Situation anders. Der Zusammenbruch der Sowjetunion beschleunige bestimmte wissenschaftliche Entwicklungen und mache das atomare Wissen zugänglicher als je zuvor. In dieser Konstellation soll sich nach Abraham Burg der Staat Israel damit abfinden, dass auch andere Länder, wie der Iran, früher oder später eine „atomare Fähigkeit“ entwickeln werden. Die israelische Regierung muss entscheiden, was unter diesen Umständen für die Zukunft Israels besser wäre: Dass keiner Atomwaffen besitzt oder dass alle Atomwaffen besitzen. Die dritte Alternative, dass nur Israel Atomwaffe besitzt, ist nach Burgs Meinung weg vom Tisch, weil eine Proliferation von Atomwaffen de facto nicht mehr zu verhindern sei.

Sowohl Burg als auch Ben-Zvi sind für die erstere Alternative, für eine atomwaffenfreie Zone. Die Frage ist nur, wie macht man das?

Nach Ben-Zvi muss Israel seine Zukunft und Sicherheit in fremde Hände geben. Ben-Zvi verknüpft die Zukunft des Judenstaats unter anderem mit der Kooperationsbereitschaft arabischer und islamischer Staaten, die Israel als Erzfeind, als „Krebsgeschwür“ bezeichnen. Burg hingegen vertraut Obama, Merkel und Hollande, notfalls die Kastanien aus dem Feuer zu holen, d.h. falls der Iran nicht kooperieren will.

In beiden Fällen geht es um einen Abschied von der eisernen Regel der israelischen Sicherheitspolitik: So unabhängig wie möglich zu sein.

Burg und Ben-Zvi wollen pokern, aber anstatt ihr eigenes Geld einzusetzen, pokern sie um die Zukunft Israels. Beide wissen, sollten sie sich irren, wäre niemand mehr da, um sie zur Verantwortung zu ziehen.

Sonntag, 27. Oktober 2013

Kastanien für den Frieden

von Dr. Eran Yardeni

Das folgende Szenario hat wohl jeder Lehrer schon mal erlebt: Im Herbst fallen die Kastanien von den Bäumen und der Schulhof wird zum Schlachtfeld. Die Kastanien fliegen hin und her wie sonst nur die Anopheles-Mücken in den Sumpfgebieten Brasiliens. Damit auf dem Schulhof wieder Ruhe einkehrt, muss der Aufsichtslehrer zwei Schritte unternehmen: Den Kindern das Sammeln bzw. Besitzen von Kastanien untersagen und dementsprechend diejenigen sanktionieren, die trotz des klaren Verbots ihr Arsenal weiter ausbauen. Denn jeder Lehrer weiß: Ohne eine starke und entschlossene Autorität bricht der “Waffenstillstand” bald wieder in sich zusammen.

Für Schneeballschlachten gilt das Gleiche.

Alles wäre sehr einfach, wenn es keine Antiatomwaffenaktivisten gäbe, die die Logik der Schulordnung und die damit verbundenen pädagogischen Maßnahmen überall anwenden möchten, als wäre die Welt samt ihren Diktatoren, Tyrannen und Ajatollahs nicht mehr als ein größeres Modell des Schulhofs.

Die Grundannahme dieser Art von Pazifisten ist, dass das bloße Vorhandensein atomarer Waffe die Existenz der Menschheit in Gefahr bringt. Die Welt ohne Atombomben, so behaupten sie, wäre einfach sicherer.

Dieser Behauptung liegt aber eine andere Annahme zugrunde , die mit der Realität so gut wie nichts zu tun hat: Dass bei einer Abrüstung alle mitmachen würden. Denn schlimmer als jede atomare Aufrüstung kann nur eine einseitige atomare Abrüstung sein. Wer diesen Weg geht, ohne sicher zu sein, dass die anderen auch denselben Weg gehen, der macht das Leben auf dieser Erde nicht sicherer, sondern sein eigenes Leben unsicherer.

Mit anderen Worten: Die Frage ist, wie wollen die Ritter der Moral alle Kinder dazu bringen, die atomaren Kastanien abzugeben und zwar ohne die Hilfe einer von allen Beteiligten anerkannten Autorität, die vielleicht auf dem Schulhof, nicht aber auf der globalen Arena funktioniert.

Erstaunlicherweise fällt es den Gutmenschen leicht, diese hochkomplizierte Frage zu beantworten. Sie glauben, wenn die westliche Welt abrüstet, werden alle anderen folgen. Denn der Westen ist der Initiator und die Ursache jeden Unheils - während die anderen Kräfte und Mächte nur auf seinen kulturellen, politischen und militärischen Expressionismus reagieren.

Auf welchen Tatsachen aber basiert diese selbstzerstörerische Annahme, dass die anderen mitmachen werden? Gibt es einen Plan B für den Fall, dass ein paar Kinder nach den neu konzipierten Regeln nicht spielen wollen? Nicht einmal auf einem Schulhof kann man allein durch Vertrauen einen stabilen Waffenstillstand erreichen. Und wer im Namen des Friedens die Abrüstung verlangt, wird kaum bereit sein, gegen die Verweigerer etwas zu unternehmen, um sie zur Abrüstung zu zwingen. Das Beispiel Iran zeigt das Problem am besten.

Es wäre im Interesse des Friedens auf dem Schulhof und in der Welt besser, wenn ein paar vernunftbegabte und verantwortungsbewusste Kinder ihre Kastanien behalten würden, statt sie allen abzunehmen - bis auf paar Schurken, die alle anderen terrorisieren können. 

Mittwoch, 23. Oktober 2013

Rettet die Feldlerche

von Dr. Eran Yardeni

Berlin, das haben wir alle im Geographie Unterricht gelernt, ist eine trockene Wüste. Arm an Wasserquellen, aber an finanziellen Ressourcen so reich, dass die Senatsverwaltung beschlossen hat, auf dem Tempelhofer-Feld einen künstlichen See anzulegen.

Nicht weniger als 11 Millionen Euro soll das Projekt kosten. Ungefähr 4.5 Millionen sollen von der EU kommen. Dieser Kalkulation liegt die Annahme zugrunde, dass bei diesem Projekt nichts schief gehen wird.

Dennoch: Angesichts der finanziellen Situation Berlins überschreitet jeder Versuch, diese Wahnidee zu rechtfertigen, die Grenzen der menschlichen Vernunft. Genauso gut könnte man 11 Millionen Euro–Steuergelder - in den Bau einer künstlichen Düne in der Sahara investieren oder jedes Iglu an der Südwestküste der Baffininsel mit einer Klimaanlage ausstatten.

Aber immer wenn die Vernunft die Bühne durch die Hintertür verlässt, treten die Naturschützer, die Gutmenschen, die Moralisten und die Esoteriker stolz und selbstbewusst in Erscheinung. Sie wissen, was die anderen schon vergessen haben: dass eine Absurdität nur mit einer größeren Absurdität bekämpft werden kann. Dementsprechend schicken sie die Feldlerche an die Front. Ja, ausgerechnet die Feldlerche.

Denn diese geschützte Vogelart hat jetzt ein akutes Problem: Ihre Brutplätze auf dem Tempelhofer-Feld sind in Gefahr. Und in einem Land, in dem Haustiere medizinisch besser versorgt werden als viele Menschen in der Dritten Welt, ist es kein Wunder, dass die Ritter der Moral und die Verteidiger der Natur das Wort an sich reißen.

Nicht im Namen der arbeitenden Steuerzahler wird jetzt argumentiert und diskutiert, sondern im Namen eines kleinen brauen schwarzäugigen Vogels. Sinnlose Geld-Vergeudung? Damit kann man noch leben, aber eine brutale Ausrottung und Zerstörung der Brutplätze dieser oder jener Vogelart fordert das kollektive Gewissen heraus. Da ist die Assoziationen-Kette schon klar. Wehret den Anfängen! Asyl für alle Vögel!

Samstag, 12. Oktober 2013

Der Friedens-Pate

von Dr. Eran Yardeni

Zwar kann man nur schwer voraussehen, was die Zukunft mit sich bringt, ganz ahnungslos aber steht man angesichts des Bevorstehendes trotzdem nicht. Ich kann z.B. mit bestimmter Gewissheit prophezeien, dass ich im kommenden Jahr keine Karriere als Profifußballer oder Gogo-Tänzer beginnen werde. Für die erstere bin ich zu alt, für die letztere zu klein und zu behaart. Genauso unwahrscheinlich ist, dass ich auf die Barrikaden gehen werde, um die Rechte aussterbender Arten verteidigen. Den Papst werde ich bis zum Ende 2014 garantiert nicht küssen und die kirgisische Staatsbürgerschaft werde ich nicht beantragen.

Eins kann ich aber nicht ausschließen und zwar, dass ich nächstes Jahr den Friedensnobelpreis bekommen werde.

Ich werde sogar ziemlich überrascht sein, wenn das nicht passieren wird. Mit der Verleihung des Preises an Jasser Arafat (1994) und später an Barack Obama signalisierten die Mitglieder der norwegischen Nobelkomitee, dass mit dem Preis nicht nur geehrt sondern auch parodiert werden kann. Dass jetzt die OPCW mit dem Preis bejubelt wird, ist nicht mehr als ein weiteres Glied dieser tragikomischen Kette.

Was ist eigentlich die OPCW? Es geht um eine Organisation, die „die Chemiewaffenbestände der Vertragsstaaten überprüfen und deren Vernichtung kontrollieren soll“.

Mit anderen Worten: Länder, die, aus welchem Grund auch immer sich freiwillig verpflichten, keine Chemiewaffe herzustellen bzw. ihr vorhandenes Chemiearsenal zu vernichten, machen die Türe ihrer Institute, Labore und Militärlager auf, um die Arbeit der Kontrolleure der OPCW zu ermöglichen. Alles freiwillig. Dass man nicht mitmachen muss, zeigt die Tatsache, dass nicht alle Länder die „Chemiewaffenkonvention“ ratifiziert haben.

Wenn man will, sind die Kontrolleure nicht mehr als die Ordnungsamtsbeamter der Staaten, die diese Konvention ratifiziert haben. Ihren Einsatz in Syrien verdanken sie der Zustimmung Assads, der so zu dem Paten dieses Preises geworden ist, es sei denn man ist so naiv, um zu glauben, dass die Verleihung des Preises an die OPCW nur zufällig mit ihrem jetzigen Einsatz in Syrien zusammenhängt.

Wenn jemand hier einen Friedensnobelpreis bekommen soll, dann sind es vor allem die Staaten, die die Chemiewaffenkonvention unterschrieben haben, weniger aber die Kontrolleure oder die Organisation, deren Existenz von der Zustimmung dieser Länder anhängt.

Hätte das Komitee sich für die Staaten anstatt für die Kontrolleure entschieden, wäre es nicht unbedingt vernünftiger, dafür aber wenigstens ein bisschen lustiger. Denn auch der Iran hat die Chemiewaffenkonvention ratifiziert.

Donnerstag, 3. Oktober 2013

Am Arsch vorbei!

von Dr. Eran Yardeni

Wegen seines Songs „Stress ohne Grund“ hat Bushido jetzt einen ziemlich begründeten Stress. Die Staatsanwaltschaft, so liest man im Tagesspiegel, wirft dem Rapper Volksverhetzung, Gewaltdarstellung und Beleidigung vor.

Beleidigt fühlt sich unter anderem der Berliner Bürgermeister, Klaus Wowereit, höchstwahrscheinlich vor allem wegen der folgenden Zeilen:

„Halt die Fresse, fick die Presse, Kay du Bastard bist jetzt vogelfrei / du wirst in Berlin in deinen Arsch gefickt wie Wowereit.“

Dass eine Sprache, die Stefan Zweig, Thomas Mann und Heinrich Heine ein Zuhause war, so entstellt, missbraucht und misshandelt werden kann, hat weniger mit Bushido als mit der Art und Weise zu tun, wie Sprachen auf soziopolitische Entwicklungen bzw. Fehlentwicklungen reagieren.

Wowereit ist kein Literaturkritiker, und wenn er sich beleidigt fühlt, fragt man sich: warum?

Wäre es besser, wenn Bushido anstatt „Arsch“ „Popo“ schreiben und singen würde? Marquis de Sade benutzte die letztere, die mildere Version, was seine Texte nicht weniger skandalös und moralisch krank machte. Arsch klingt ziemlich grob, Popo hingegen zärtlich.Den Arsch braucht man, um zu kacken, den Popo, um zu streicheln. 

Dass bei de Sade die Popos Minderjähriger gehörten, während Bushido seine gedichteten Halluzinationen auf die Hintern reifer Männer projiziert, soll vielleicht die sprachlichen Nuancen ein bisschen relativieren. 

Die Frage aber ist nicht, wie man das Gesäß bezeichnet, sondern was man damit praktiziert. Es mag sein, dass nicht das Wort „Arsch“ Wowereit so in Rage sprint, wie die Tätigkeit, die Bushido damit verbindet: Analverkehr. Eine ist eher unwahrscheinlich, denn wenn es überhaupt eine erfolgreiche Integrationsgeschichte gibt, rauf wir alle stolz sein können, dann wäre es die Geschichte des Analverkehrs, der sich in das Programm etablierter sexueller Praktiken wie die Reitstellung und die Missionarsstellung reibungslos integrierte. 

Was im Alten Testament als Todsünde betrachtet wurde, ist heutzutage Mode. Übrigens, die Wurzeln dieses emanzipatorischen Vorgangs liegen in der Entmystifizierung des Arsches durch Freud. Für den Arsch ist die anale Phase das, was Fukushima für die Grünen ist: Ein Element der Selbstbestätigung.

Oder liegt es am Verb “ficken”? Dieses Verb hat eine lange Vorgeschichte, die bis ins Mittelalter reicht. Genau wie “Analverkehr”, hat es sich im Laufe der Zeit so gut integriert und etabliert, dass es heute sogar eine feministische Version hat. So berichtete im Oktober 2011 die linke Wochenzeitung „Jungle World“ (http://jungle-world.com/artikel/2011/40/44095.html) unter dem Titel „Feministisches Ficken ist konsensuell“ über die Verleihung des „feministischen Pornofilmpreis Europas“: 

„Feministisches Ficken ist in erster Linie konsensuell, bewusst, vielfältig und nicht wertend. Der sexpositive Feminismus geht davon aus, dass alle sexuellen Varianten erlaubt sind, wenn sie ab-gesprochen und reflektiert werden.“ 

Feministinnen, die auf jede Art sexueller Erniedrigung und Beleidigung sehr empfindlich reagieren, lehnen das Verb nicht ab – im Gegenteil: Sie haben es adaptiert und und in ihrem Sinne modifiziert.

Mit seiner Anklage befreit Wowereit das Lied und den Rapper aus ihrer Belanglosigkeit. 

Besser wäre es einfach zu sagen: Das geht mir alles am Arsch vorbei!