Samstag, 24. August 2013

Die Logik der Geisterfahrer

von Dr. Eran Yardeni

Ein betrunkener Geisterfahrer, der einen Bus voller Kinder mit Tempo 230 in die falsche Richtung auf der Autobahn fährt, mag ein gruseliges Szenario sein. Schlimmer aber ist es, wenn ein von antiisraelischen Halluzinationen besessener Staatsmann keinen Bus sondern eine ganze Nation gegen die Fahrtrichtung steuert – eine Nation die fast so groß ist wie Deutschland. Denn an dem Steuer des 73 Millionen Tonnen schweren türkischen Lastwagens sitzt ein politischer Geisterfahrer, der mit dem Tempo eines Jumbo-Jets und mit dem Pathos eines Diktators Millionen von Türken in den Abgrund des Judenhasses fährt.

Aus der engen Perspektive des osmanischen Pascha ist Israel, wie Professor Moriarty in den Sherlock-Holmes-Geschichten von Arthur Conan Doyle, ein skrupelloser Drahtzieher, der mit seiner magischen Macht die politische Konstellation so gestaltet, wie es ihm gefällt. Sich selbst will er aber nicht bekleckern und deshalb benutzt er immer andere Akteure, um seinen eigenen Zielen und Interessen zu folgen.

Dieses Denkmuster entlarvt die innere Logik des Antisemitismus: Auf der einen Seite wird Israel eine politische Allmacht beigemessen, die es ihm ermöglicht, nach Belieben Präsidenten abzusetzen. Auf der anderen Seite kann aber nicht einmal Erdogan die Tatsache übersehen, dass die Israelis sowohl die Situation in Ägypten als auch die Situation in Syrien als gefährliche Entwicklungen betrachten, die die ganze Region in eine neue Konfliktsituation führen kann.

Vor diesem Hintergrund fragt man sich, warum Israel den politischen Abturz von Mubarak nicht verhindert hat, angenommen, dass es tatsächlich so viel Macht besitzt, wie Erdogan immer wieder behauptet?

Diese Frage scheint genau so banal, um nicht zu sagen kindisch und albern zu sein, wie der Antisemitismus selbst. Denn der Antisemit bestimmt rein willkürlich, wann historische Vorgänge beginnen und wann sie zum Ende kommen, um dadurch den Juden die Schuld an allen möglichen Katastrophen zuzuschieben.

Diese Strategie ist nicht neu. Für viele, um ein Beispiel zu nennen, gilt der 10.6.1967, der letzte Tag des Sechs-Tage-Kriegs, als der „Punkt Null“ des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern, als wollten die Araber vorher mit Israel in Frieden leben, als hätten sie die Teilungserklärung der Uno nicht abgelehnt und ein Jahr danach Israel zu vernichten versucht. Vor dem Sechs-Tage-Krieg war alles in Butter, und das Einzige, das diese Idylle zerstörte, war die kriegerische Abenteuerlust der Zionisten.

Nach dieser Logik könnte man genau so gut die Angriffe auf Hamburg und Dresden als „Punkt Null“ bestimmen, um daraus die Verbrechen des Nationalsozialismus als präventive Aktion, als einen heroischen Selbstverteidigungskrieg in den Geschichtsbüchern zu kanonisieren.

Sonntag, 18. August 2013

Jetzt ist Europa dran

von Dr. Eran Yardeni

Als Jude fühle ich mich meiner historischen Rolle als der ewige Sündenbock der Geschichte der Menschheit beraubt. Völlig unberechtigt finde ich, vor allem weil wir immer da waren, wo man uns nur brauchte – gar kein Ort war für uns zu weit, gar keine Arbeit zu schwer und keine Aufgabe zu gefährlich: Ob Erdbeben, Epidemien, Kriege, Bürgerkriege, Finanzkrisen, innenpolitische Katastrophen und Vulkanausbrüche – wir standen immer zur Verfügung. Einmal bereit, immer bereit!

Wir, die notwendige Begleiterscheinung eines jeden Übels, waren da, als Jesus gekreuzt wurde, als der schwarze Tod Europa überrollte, als das globale Finanzsystem kollabierte und als im Namen Allahs das World Trade Center dem Erdboden gleich gemacht wurde.

Schlachteten die Araber sich gegenseitig ab? Stand eine Ölkrise bevor? Unterdrückten die Diktatoren im Nahen Osten ihre Völker? Haben die Palästinenser der Hamas die Macht in die Hand gedrückt? Man musste uns nicht mal anrufen, wir waren schon vor Ort, um die Schuld auf uns zu nehmen.

Nach so vielen Jahren haben wir viele Erfahrungen gesammelt. Wie sind in diesem Bereich Experten geworden, was uns wiederum ein bisschen übermütig gemacht hat. Wir fühlten uns zwar ständig bedroht, dafür aber total überlegen.

Man konnte uns foltern und töten, uns enteignen, unsere Städte niederbrennen und zerstören, die Schuld aber, so haben wir gedacht, bleibt uns auf ewig erhalten. Ironischerweise haben wir angefangen, die Schuld als eine Art von Lebensversicherung zu betrachten.

Auch wenn man uns als Einzelne loswerden wollte, brauchte man uns unbedingt als gesellschaftliches Phänomen.

Jetzt aber scheint es, dass wir durch einen neuen Konkurrenten herausgefordert werden. Dieser Konkurrent – so ironisch kann nur das Schicksal sein - war vorher unser Peiniger und Henker. Die Narben, die unseren Rücken dekorieren, stammen vor allem von seiner Hand, besser gesagt – von seiner Peitsche. Aber so passiert es manchmal, dass der Protagonist und der Antagonist ihre Rolle wechseln wollen, dass der Sadist sich in die Rolle des Masochist hineinversetzt. Und jetzt ist Europa dran.

Bleibt Europa gelassen und zurückhaltend, während in Kairo und Damaskus Menschen wie Fliegen getötet und vergewaltigt werden – wird ihm vorgeworfen, an dem Tot der Unschuldigen mitschuldig zu sein. Mischte es sich aber ein, würde man sofort über einen brutalen kulturellen Imperialismus des Westens sprechen.

Wer die Zurückhaltung Europas angesichts der Nebenwirkungen des arabischen Frühlings als „zynisch“ bezeichnet, der würde auch jede Intervention in die Angelegenheiten arabischen Völker als zynisch bezeichnen, denn schließlich ginge es dem Westen angeblich nur um Macht, Öl und andere Interessen, die mit Humanismus und Menschenrechten gar nichts zu tun haben. 

Im dieser No-win-Situation macht Europa das einzig Richtige, und zwar gar nichts.

Donnerstag, 1. August 2013

Infantilismus als politisches Programm

von Dr. Eran Yardeni

Der F.C. Basel steht vor einem riesigen Problem. Zwar hat der Club im letzten Heimspiel Maccabi Tel Aviv 1:0 besiegt, jetzt aber muss die Mannschaft nach Israel, und es scheint, wie die Basler Zeitung berichtet, dass nicht alle Spieler zur Verfügung stehen.

Nein, sie sind nicht verletzt oder gesperrt. An einer akuten Sommergrippe leiden sie auch nicht und Flugangst dürfte auch nicht der Grund sein.

Laut der Basler Zeitung sind es politische Gründe. “Es ist eher unwahrscheinlich, dass die beiden ägyptischen Nationalspieler Mohamed Salah und Mohamed Elneny dabei sein werden. Zu heikel ist ihre derzeitige persönliche Situation. Sie stecken in einem politischen Dilemma. In deren Heimatland üben Teile der Öffentlichkeit großen Druck aus und fordern, dass die beiden auf eine Reise nach Israel zwingend verzichten müssten.“ 

Die Tatsache, dass es zwischen Israel und Ägypten schon seit mehr als 30 Jahren, lange bevor die beiden Spieler geboren wurden, einen ziemlich stabilen Friedensvertrag gibt und dass Ägypten keine Forderungen mehr an Israel hat, scheint nicht gut genug zu sein um dieses politische Dilemma zu lösen.

Es mag wohl sein, dass Mohamed Salah und Mohamed Elneny tatsächlich das Opfer eines enormen Drucks aus der Heimat sind, was alles natürlich nur schlimmer macht. Denn wenn das stimmt, dann haben wir es in diesem Fall nicht mit einem persönlichen Problem zu tun, sonder eher mit einem gesellschaftlichen.

Dieses Phänomen hat einen Namen: Es geht um politischen Infantilismus, um eine Bevölkerung, die sich von rückständigen und radikalen Elementen ständig infantilisieren lässt. Außerdem haben wir hier mit dem Wunsch zu tun, zurück in Mamas Bauch zu kriechen, wo der ewige Frühling herrscht und wo man keine Verantwortung für seine Taten und Missetaten übernehmen muss. Die arabische Welt besteht darauf, ein Kind zu sein und ärgert sich trotzdem immer wieder, wenn sie dementsprechend als Kind behandelt wird anstatt als Erwachsener.

In diesem Embryo-Zustand ist der „Andere“ immer an allem schuld, und wenn die Juden ihre Heimat in Argentinien gegründet hätten, würde man zur Not auch die Möwen oder die Fische am Nil für die eigene Lebenssituation verantwortlich machen.

Was diesen kollektiven Hass gegen Israel aber pathologisch macht, ist nicht seine Intensität sondern vor allem seine Zwecklosigkeit. Man kann seine Nachbarn hassen, weil diese seine Leben mit lauter Musik oder mit ständigen Meckereien verderben. ‘Wenn sie nur verschwinden würden’, denkt man sich, ‘hätte ich keine Probleme”. Diese Art von Hass ist zwar banal, dafür aber wenigstens nachvollziehbar, weil sie ein klares Ziel hat. Was aber würden die Durchschnittsmenschen in Alexandria oder Kairo von dem Verschwinden Israels profitieren?

Diese Frage können vielleicht Mohamed Salah und Mohamed Elneny beantworten. 

Freitag, 26. Juli 2013

Wir werden ständig überwacht, und es ist auch gut so

von Dr. Eran Yardeni

Es mag sein, dass mit mir etwas nicht stimmt, aber der sogenannte Ausspähskandal, “der größte Digitalskandal des 21. Jahrhunderts“, ist mir völlig Banane. Meine Sorgen sind irdischer Natur, haben vor allem mit einem chronischen Mangel an Geld, Schlaf und Sex zu tun, weniger aber mit existenziellen Fragen. Deswegen amüsieren mich die verzweifelten Versuche links orientierter bzw. desorientierter Journalisten, Kolumnisten und Blogger, diese fünfdimensionale Spionage-Katastrophe um jeden Preis am Leben zu halten.

Bei einigen scheint die Sache schon die Form einer akuten politischen Fixierung anzunehmen, als gäbe es auf unserer Erde gar nichts mehr, worüber man sich ärgern könnte als über die bösen Amis, die durch ihre wahnsinnige Spionage-Besessenheit das deutsche Grundgesetz zunichte machen wollen.

Sascha Lobo (S.P.O.N) liegt die Sache sehr am Herzen. In seinem letzten Beitrag, den er als eine Art von Selbstbetrachtung stilisierte, unterteilte er seine Reaktionen auf „den größten Digitalskandal des 21. Jahrhundert“ in sieben Entwicklungsphasen: Erstaunen, Entsetzen, Empörung, Irritation, Ohnmacht, Wut und zum Schluss Ekel. Und am meisten ekelt ihn „Angela Merkel dafür an, dass unsere Freiheit zwar am Hindukusch verteidigt wird, aber nicht auf unseren Laptops“.

Bevor wir aber über die Freiheitskomplexe des Gutmenschentums sprechen, muss ich so nebenbei erwähnen, dass auch ich die ganze Palette - von Erstaunen, über Empörung bis hin zum Ekel – durchgemacht habe, zwar nicht bezüglich der NSA-Affäre sondern angesichts der gut dirigierten kollektiven Panik, die in der Abschaffung der Atomenergie mündete. Das hat mit der gutmenschlichen Freiheit aber wirklich gar nichts zu tun.

Freiheit ist ein verschwommener Begriff, dass müsste auch Lobo wissen. Vielleicht klingt es ein bisschen pervers, aber die strengen und tief in die Privatsphäre eindringenden Kontrollen am Flughafen sehe ich als eine Manifestation der Freiheit, genauso wie die Freiheit, dagegen zu protestieren. Das gilt auch für die gut überwachten Bank-Filialen, die mehr Überwachungskameras als Mitarbeiter haben, sowie für die Schnüffelei beim Zoll.

Übrigens – unsere Kreditkarten werden auch überwacht, so dass ungewöhnliche Einkaufen schnell auffallen, was die Wahrscheinlichkeit eines Missbrauchs natürlich reduziert. Mit anderen Worten: Wir werden ständig überwacht, und es ist auch gut so.

Wenn Lobo nun behauptet, dass „ein überwachter Bürger keine Würde hat“, muss ich zugeben, dass ich nicht wirklich verstehe, was er damit meint.

Es mag sein, dass nicht die Überwachung an sich das Problem ist, sondern ihre Rechtswidrigkeit. Darauf pocht Lobo immer wieder, wenn er schreibt, dass er auf einen Geheimdienstapparat wütend ist, „der die Abschaffung des freien Rechtsstaats mit dem Argument betreibt, den freien Rechtsstaat schützen zu wollen“, oder wenn er behauptet, dass „ein heimlich mit Wissen des Staates verdachtslos und illegal überwachter Bürger kein Bürger mehr ist“.

Das ist das ultimative Argument, dagegen ist jeder Politiker machtlos. Denn wer will den Rechtsstaat in Frage stellen? Wer würde seinen guten Ruf riskieren, um das Existenzrecht bestimmter Institutionen jenseits des Rechtssystem oder in der Dämmerzone der Legalität zu unterstützen? Gibt es ein besseres Argument als: „Es ist gesetzwidrig?“

Wo der kategorische Imperativ zum Zuge kommt, ist der Formalismus nicht weit. Wer sich über die Spionage beschwert, der könnte ebenso gut darüber klagen, dass die Summe aller Winkel im Dreieck 180 Grad beträgt. Wer aber die Notwendigkeit der Spionage erkennt, der muss sich damit einfach abfinden, dass es sie gibt.

Die Alternative dazu wäre: Man kann natürlich die Geheimdienste kastrieren, aber ehe man das macht, sollte man sich fragen, ob wir danach tatsächlich freier sein würden oder nicht. 


Mittwoch, 17. Juli 2013

Die FDP und die Wirtschaft... ein Widerspruch in sich?

von Thomas Heck

Die FDP empfiehlt sich gerade in Wahlkampfzeiten als die Partei für die Wirtschaft und vertritt von allen Parteien im Bundestag am stärksten wirtschaftsliberale Ideen. Sie fordert und fördert Unternehmertum und propagiert den Markt als das Allheilmittel. Garniert mit der Forderung nach mehr Deregulierung, Bürokratieabbau und Privatisierung wird uns ein Politik-Menü präsentiert, welches Kompetenz in allen Fragen der Wirtschaft suggerieren soll. Dagegen kann man ja grundsätzlich nichts sagen, doch schauen wir uns doch einmal die Protagonisten der der FDP unter dem Aspekt eigene Arbeitserfahrung in der Wirtschaft genauer an und stellen uns auf eine Überraschung ein.

Rainer Brüderle: Dipl.-Volkswirt, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik, Direktor des Amtes für Wirtschaft und Verkehrsförderung in Mainz, Wirtschaftsdezernent in Mainz, Abgeordneter im Pfälzischen Landtag und im Bundestag, Bundesminister. Diverse Parteiämter, Mitglied im Fernsehrat des ZDF. Engagement oder Arbeit in der freien Wirtschaft – Fehlanzeige.

Guido Westerwelle: Jura-Studium, Referendariat Amts- und Landgereicht Bonn, zugelassen als Rechtsanwalt, diverse Parteiämter, Bundesaußenminister. Eine Tätigkeit in der freien Wirtschaft sucht man in seiner Vita ebenfalls vergebens.

Philipp Rösler – Zeitsoldat bei der Bundeswehr, Medizinstudium, Stabsarzt bei der Bundeswehr, diverse Parteiämter, Bundesminister und Vizekanzler. Ohne seine Leistung als Sanitätsstabsoffizier mindern zu wollen, eine Tätigkeit in der harten Realität der freien Wirtschaft sieht anders aus.

Ich bin sie alle durchgegangen. Überall das gleiche Bild. Bis auf gefährliche Kopieraufträge in der FDP-Parteizentrale finden sich keine nervenaufreibenden Tätigkeiten in der Glamour-Welt der Wirtschaft. Lediglich Daniel Bahr und Christian Lindner weisen in ihrer Vita einen leichten Bezug zur Wirtschaft auf, der eine als Banker, der andere als Stromhändler.

Nun möchte ich nicht so weit gehen, der FDP vorzuwerfen, sie predige Wasser und trinke Wein, es zeigt aber eindrücklich, wie die Kaste der Politiker tickt, die sich ihre Pfründe im Bundestag und seinen Gremien sichern und das System auch für das eigene Portemonnaie arbeiten lassen. Ja, als Politiker kann man in diesem Land gut leben. Die FDP ist damit in guter Gesellschaft. Bei den anderen Parteien sieht es ja nicht besser aus.

Doch es gibt Hoffnung. Claudia Roth war ab 1982 Managerin der Musik-Gruppe Ton Steine Scherben um Rio Reiser, bis diese wegen finanzieller Schwierigkeiten 1985 abtreten musste. Ist das der Grund, warum der Rapper Bushido Frau Roth mit dem Tode bedrohte? Einem möglichen Zusammenhang sollte investigativ im Sommerloch nachgegangen werden. Bis dahin, muss sich das Wahlvolk darauf einstellen, dass wir von Politikern regiert werden, die viel reden, wenig sagen, aber von Wirtschaft so gut wie nichts verstehen.